Reden
Hier kannst Reden von Vetreter*innen der LOS nachlesen.
22. Juni 2025
Zurich Pride
Demo-Rede von Anna-Béatrice Schmaltz, Gemeinderätin der Grünen in der Stadt Zürich, Vorständin LOS Lesbenorganisation Schweiz und HAZ Queer Zürich
Liebe Freund*innen, liebe Community
Dieses Jahr demonstrieren wir an der Pride für unsere Gesundheit. Doch was bedeutet das? Für unsere Gesundheit zu kämpfen heisst, sich für ein sicheres, besseres Leben für uns einzusetzen. Sogar die WHO findet: Gesundheit ist mehr, als die Abwesenheit von Krankheit, es geht darum, dass wir uns körperlich, geistig und sozial so wohl fühlen, wie es für uns möglich ist.
Heute fordern wir ein besseres Leben und bessere Gesundheitschancen für unsere Communites ein. In einer Zeit, in der unsere Identitäten belächelt und unsere Rechte angegriffen werden, ist das nicht leicht. Und genau darum müssen wir die Politik und Gesellschaft auffordern, sich aktiv für uns und unsere Gesundheit einzusetzen: Genau deshalb gehen wir heute auf die Strasse und stehen laut für unsere Forderungen ein.
Wenn wir depressiv sind, eine Suchterkrankung entwickeln, arbeitsunfähig werden, dann ist das nicht einfach persönliches Versagen, sondern politisch verursacht!
Die Schweiz vernachlässigt die Gesundheit von LGBTIQ-Personen. Ein Forschungsbericht von 2022 zeigt glasklar und mit repräsentativen Daten auf, was wir schon längst wissen: Dass wir Queers einen schlechteren Zugang zum Gesundheitssystem haben, dass wir Diskriminierung und Gewalt in Arztpraxen, Spitalzimmern und Pflegeeinrichtungen erfahren und dass es uns auch deswegen psychisch und physisch schlechter geht als dem Rest der Schweizer Bevölkerung.
Der Bundesrat hat in einem Bericht anerkannt, dass die gesundheitlichen Chancen von LGBT Personen ein wichtiges Anliegen sind.
Dieses Versprechen hat der Bundesrat nicht einmal zwei Wochen gehalten.
Zwölf Tage später veröffentlichte er einen weiteren Bericht zur rechtlichen Anerkennung von nicht binären Menschen. Der Bundesrat schreibt dort, er sei der Ansicht, «dass die gesellschaftlichen Voraussetzungen für die Einführung eines dritten Geschlechts oder für den generellen Verzicht auf den Geschlechtseintrag derzeit nicht gegeben sind.»
Ich frage mich, ob der Bundesrat weiss, was diese vernichtende Aussage mit nicht-binären Menschen in der Schweiz und ihrer Gesundheit, ja mit unserer ganzen Community, gemacht hat.
Ich frage mich, ob der Bundesrat begreift, wie widersprüchlich das alles ist.
Seit dann hat die Politik nicht vorwärts gemacht. Es ist genau nichts passiert.
Die Politik meint, auf unsere Gesundheit verzichten zu können, weil unsere Körper und Identitäten das System sprengen und unser Sex alle herausfordert.
Aber wir lassen uns nicht vernachlässigen. Und darum sind wir heute hier.
Gemäss dem LGBT-Gesundheitsbericht waren 68 Prozent der LGBT-Personen mindestens einmal in ihrem Leben Gewalt oder Diskriminierung ausgesetzt. 26 Prozent der LGBT-Personen haben diese mindestens einmal in der Gesundheitsversorgung erlebt.
Wir fordern ein Gesundheitssystem, das uns ernst nimmt, anstatt uns zu diskriminieren.
Wer in der Schweiz eine Transition machen möchte, muss immer noch unglaublich viele administrative und gesellschaftliche Hürden überwinden. Spezialisiertes Fachpersonal fehlt und die Wartelisten für Beratungen sind lang. Das muss sich ändern!
Wir fordern ein Gesundheitssystem, das wir nicht austricksen müssen, um eine Kostengutsprache von der Krankenkasse zu erhalten.
11 Millionen werden beim BAG bald eingespart – auch die Präventionsgelder für HIV und STI, die für unsere Communities so wichtig sind, sind in Gefahr. Wir müssen die wichtige Arbeit, die von Präventions- und Fachstellen in der ganzen Schweiz geleistet wird, unbedingt beschützen.
Wir fordern ein Gesundheitssystem, das nicht auf Kosten von uns spart.
Noch immer sind nicht lebensnotwendigen chirurgischen Eingriffen an intergeschlechtlichen Kindern in der Schweiz nicht verboten. Die Politik muss endlich anerkennen, dass nur ein strafrechtliches Verbot intergeschlechtlichen Menschen den nötigen Schutz bietet.
Wir fordern ein Gesundheitssystem, das uns nicht als Babies zwangsoperiert
Queere Menschen mit Behinderung, queere Menschen mit wenig finanziellen Mitteln, queere Menschen of Colour werden noch häufiger vergessen und nicht ernstgenommen überall in der Politik und auch betreffend Gesundheit.
Wir fordern ein Gesundheitssystem, das alle einbezieht.
1 gefaltete A4-Seite: Das war während Jahren die einzige Information, die Lesben über ihre Krebsrisiken aufklärte. Herausgegeben wurde sie nicht
etwa vom BAG, sondern in Eigenregie von der Lesbenorganisation Schweiz. Wenn uns lebensnotwendige Informationen vorenthalten werden, können wir nie selbstbestimmte Entscheidungen für unsere Gesundheit treffen.
Wir fordern ein Gesundheitssystem, dass uns informiert.
Die Broschüre, die ich gerade angesprochen habe, hat die LOS ohne einen einzigen Franken vom Staat erarbeitet. Noch immer erhalten die LGBTI-Dachverbände LOS, Pink Cross, InterAction und TGNS keine staatliche Unterstützung. Das muss sich ändern!
Und darum fordern wir ein Gesundheitssystem, dass unsere Communities einbezieht und unterstützt.
Liebe Freund*innen, wir müssen uns dringend um unsere Gesundheit kümmern, denn die Politik tut es nicht von allein.
Bis keine Lesbe mehr gynäkologische Gewalt erlebt, bis kein Schwuler mehr für seinen Sex stigmatisiert wird, bis jede bisexuelle Person von ihrem Therapeuten ernst genommen wird, bis jede trans Person ernst genommen und nicht mehr pathologisiert wird, bis jeder nicht-binäre Mensch in der Arztpraxis richtig angesprochen wird, bis jedes intergeschlechtliche Kind in Würde und stolz aufwachsen darf.
Ich stehe hier heute auf dieser Bühne, um zu sagen, dass unsere Gesundheit politisch ist.
Ich stehe hier heute um zu sagen, dass unsere Existenz politisch ist.
Ich stehe heute hier, weil es Teil eines grösseren Einsatzes für eine gleichgestellte und feministische Gesellschaft ist.
Ihr alle, die heute stolz und sichtbar mitdemonstriert, setzt ein Zeichen in Zeiten des Backlashs. Ich danke euch von ganzem Herzen dafür.
Mit Sorge beobachten wir, wie LGBTIQ+ Rechte weltweit eingeschränkt werden: Es werden willkürliche Gesetze erlassen, Prides verboten, Gelder gestrichen und gezielt Hass verbreitet. Auch in der Schweiz kippt die Stimmung: Wir werden lächerlich gemacht, unsere Anliegen abgewertet, unsere Rechte infrage gestellt.
Wir müssen ins Handeln kommen. Wir müssen jetzt an den Verstand und die Herzen der Menschen in diesem Land appellieren.
Genau darum hat die LOS zusammen mit TGNS, Pink Cross und InterAction den queeren Appell ins Leben gerufen: einen offenen Brief an die Schweizer Gesellschaft – für mehr Respekt, Schutz und Solidarität. Ihr könnt heute und jetzt etwas Konkretes tun: Unterschreibt den Queeren Appell. In der Menge hat es Menschen mit Ballonen und Unterschriftenbögen, ihr könnt bei ihnen unterschreiben oder ihr macht es gleich online auf queerer-appell.ch
Im Herbst werden wir den Bundesrat bei der Übergabe daran erinnern, was er uns versprochen hat: Dass unsere Anliegen wichtig sind, dass sie politisch sind, und dass uns ein schönes Leben in Gesundheit, Sicherheit und Würde zusteht.Lass uns schon heute nach dem schönen Leben greifen – der Weltlage zum Trotz! Happy Pride!
21. Juni 032023
Zurich Pride 2025
Rede auf der Community Bühne von Alessandra Widmer, Co-Geschäftsleiterin der LOS
Hallo zusammen und happy Pride!
Meine Name ist Alessandra und ich bin Teil der Lesbenorganisation Schweiz, kurz LOS. Die LOS setzt sich als nationaler Dachverband für Lesben, Bisexuelle und Queers ein. Wir kämpfen für unsere Rechte, und unsere Sichtbarkeit. Wir kämpfen für uns, und für euch alle.
Ich habe hier ja jetzt 15 Minuten Zeit – darum kann ich ein wenig ausholen:
Diesen Frühling haben wir bei der LOS unsere alljährliche Retraite im Kanton Nidwalden, genauer im Gesellenhaus in Stans, abgehalten. Früher war das Gesellhaus eine Unterkunft und ein Treffpunkt für Handwerker aller möglichen Gewerbe.
Wir sind also dort angekommen im Kanton Nidwalden. Zuallererst haben wir unsere Unterkunft mal in das «Gesell*innenhaus» umbenannt. Dann haben wir uns an den fachmännisch gezimmerten Stammtisch gesetzt und zwei Tage durchdiskutiert.
Wir haben uns ein Bild der Weltlage gemacht.
Wir haben die politische Lage in der Schweiz analysiert.
Wir haben uns überlegt, was wir jetzt tun müssen.
Die LOS ist ein Zusammenschluss von Aktivist*innen unterschiedlicher Generationen, unser ältestes Vorstandsmitglied ist 70. Wir bringen viele verschiedene Lebenserfahrungen und Talente zusammen. Ich sage das nicht, weil ich jetzt einfach unsere Organisation loben will, aber wir sind wirklich eine verdammt kompetente Gruppe von Kampflesben und bisexuellen Biestern.
Doch an diesem Wochenende, am Stammtisch im Gesellenhaus von Stans waren auch wir manchmal ratlos.
Wir machten uns Sorgen um die Welt, um all die Kriege, um das Erstarken des Faschismus und die Herrschaftsfantasien von menschenfeindlichen Staatschefs. Wir waren beunruhigt, dass reiche Tech Bros das Internet noch unsicherer für uns gemacht haben. Wir waren erzürnt darüber, dass in den Medien Wahrheit und Wissenschaftlichkeit von reisserischen Schlagzeilen und Hetze abgelöst werden. Wir analysierten, wie wir, die LGBTIQA+ Community im Rechtsrutsch instrumentalisiert werden: wie unsere Existenz dafür benutzt wird, die Gesellschaft zu spalten und wie wir zu Sündenböcken gemacht werden in Krisen, die wir nicht verursacht haben.
Wir fragten uns, wie es uns der LOS als Organisation in den kommenden Jahren gehen wird, ob wir unsere Expert*innenrolle behalten werden, oder ob wir bald alle untertauchen müssen. Und wir wunderten uns, wo die Regenbogenflagge, die wir stolz am Balkon des Gesell*innenhauses aufgehängt hatten geblieben ist. Denn die wurde abgerissen in der Nacht.
Wir sprachen darüber, wie es uns mit all dem geht. Und wir fragten uns immer wieder, wie es euch mit all dem geht: Wir sprachen über Angst, über Müdigkeit, und über Wut.
Und dann haben wir geschuftet. Wir haben unsere Strategie überarbeitet, Ideen gesammelt, unsere Analysen geschärft und Entscheide getroffen. Vor allem unsere älteren Aktivist*innen haben uns daran erinnert, wie es früher war: Es war nochmal anders wie heute und es war auch oft ganz schlimm. Aber etwas ist klar: Auch in diese schwierigen Zeit haben Aktivist*innen sich engagiert und durften Erfolge feiern.
Die politischen Entwicklungen der letzten Jahre fühlen sich manchmal sehr überwältigend an. Die LGBTIQ Dachverbände konnten endlich noch ein paar längst überfällige Rechte erkämpfen: Die Ehe für alle, die vereinfachte Personenstandsänderung. Und auch auf kantonaler Ebene können wir in den Verwaltungen aktuell ganz noch viel bewirken: Etwa in Basel mit dem erweiterten Gleichstellungsgesetz. Aber wir merken: Diese Arbeit wird immer schwieriger. Wir können nun nicht einfach nur fordern, wir müssen auch unsere bisherigen Errungenschaften aktiv bewahren. Die Vorstellung, dass vielleicht in den nächsten Jahren keine Fortschritte oder sogar Rückschritte passieren, das macht etwas mit uns. Wir fühlen uns machtloser, wir werden vorsichtiger und gehemmter.
ALs LOS haben wir dieses Jahr im Gesell*innenhaus in Stans beschlossen: Jetzt ist nicht der Moment, um aufzugeben, jetzt ist der Moment wo wir als LOS unsere Stärke beweisen wollen – für uns, und für euch.
Wir dürfen nicht anfangen, die Stärke unserer Community zu unterschätzen, sonst spüren wir unsere Macht nicht mehr. Ich sags nochmal: Wir können unsere Macht erst wirklich spüren, wenn wir aufhören, uns zu unterschätzen. Denn wir alle sind stark und wir haben noch immer die Möglichkeit, etwas zu verändern. Dieses Gefühl will ich heute auch euch mitgeben, die vielleicht auch Angst haben, müde sind oder wütend: Wir sind und bleiben hier und wir sind stark. Wir sind sogar viel stärker, als wir vielleicht meinen.
Von etwas bleiben wir bei der LOS felsenfest überzeugt: Früher oder später werden WIR uns durchsetzen. Wir werden gewinnen. Wir werden die Rechte, die frühere Generationen für uns erstritten haben, mit allen Mitteln verteidigen. Und wir werden uns all die Rechte und die Sicherheit und die Würde erstreiten, die wir noch brauchen.
Dafür brauchen wir nicht nur eine starke, solidarische und politische Community. Wir brauchen auch die Unterstützung von anderen Menschen. Jetzt, wo LGBTIQ-Rechte zunehmend angegriffen werden, müssen wir hier, in der Schweiz, an den Verstand und an die Herzen der Menschen appellieren. Wir müssen ihnen zeigen, dass wir ein Teil der Schweiz sind. Ein grosser und ein schöner und ein bunter und ein wichtiger Teil.
Darum haben wir in diesem Pride Month den queeren Appell gestartet. Zusammen mit TGNS, Pink Cross und InterAction haben wir einen offenen Brief an die Schweizer Gesellschaft formuliert – für mehr Respekt, Schutz und Solidarität. Denn jetzt, wo auch hier die Stimmung zu kippen droht, müssen wir eingreifen. Wir können nicht zulassen, dass die Schweizer Bevölkerung sich einschüchtern lässt, vom queerfeindlichen Weltgeschehen.
Der Queere Appell soll richtig gross werden. Und darum habe ich auch eine Bitte an euch: Auch ihr könnt heute und jetzt etwas Konkretes tun: Ihr könnt den Queeren Appell mit unterschreiben. Wir wollen dem Bundesrat im Herbst mindestens 20’000 Unterschriften übergeben. Wenn alle, die heute an der Pride mitdemonstriert haben, unterschreiben würden, hätten wir dieses Ziel schon erreicht.
Wenn ihr wollt, könnt ihr nachher zu mir kommen und auf Papier unterschreiben, oder aber ihr macht es gleich online auf queerer-appell.ch
Der queere Appell ist natürlich nicht das Einzige, was wir tun, um unsere Stärke zu beweisen. Es wird sie nicht geben, die eine perfekte Aktion, mit der wir alles erreichen. Aber: das letzte was wir jetzt wollen, ist untätig bleiben. Wir bleiben dran in den Parlamenten, den Medien und auf der Strasse. Wir kämpfen weiter, für euch und mit euch.
Ich weiss das war jetzt alles nicht so erheiternd und das tut mir leid. Aber das ist leider auch unsere Aufgabe, und ich finde wir schulden euch jetzt diese Transparenz.
Weil das jetzt alles nicht nur schön war, erzähle ich euch zum Schluss auch noch, wie wir unsere Retraite im Gesell*innenhaus in Stans beendet haben: Wir haben natürlich unverzüglich neue Pride Fahnen auf dem Balkon aufgehängt. Und in der letzten Stunde haben wir uns schöne, lustige, unpraktische, viel zu teuren LOS Merch ausgedacht. Wir haben sehr viele schlechte und ein paar sehr gute Wortwitze erfunden. Was findet ihr zum Beispiel zu einem Soli-Bier das (auf französisch) «Les-Bi-ère» heisst? Wir haben einen Fussball für die Euro designt (mit Doppeläxten drauf). Ganz viel von dem setzen wir nicht um, aber darum gings nicht. Es ging darum, dass wir uns daran erinnern wofür wir und unsere Arbeit und zum Beispiel auch die Pride auch noch da sind: Für widerständige Freude. Für Queer Joy. Queer joy ist unser Motor – denn wofür kämpfen wir letztendlich wenn nicht für unser Glück? Die queere Community kann wie keine andere die Sorgen aushalten und trotzdem Freude zelebrieren.
Queer joy macht uns stark und gibt uns Hoffnung.
Stärke und Hoffnung, das brauchen wir jetzt und das wünsche ich euch allen von ganzem Herzen. Happy Pride!
29. Juli 2023
Bern Pride 2023
Demorede an der Bern Pride von Tamara Funiciello (Nationalrätin und Vorstandsmitglied der LOS)
Liebe Familie, liebe Bitches, Butches, Dykes and Divas, liebe Lesben, liebe Fags und Tunten, liebe Gays und Bisexuals, liebe trans Geschwister liebe dominante Femmes und soft Mascs, liebe Tomboys, liebe Bears and Twinks, liebe Tops, liebe Bottoms, und liebe Switches, liebe Regenbogenfamilien, liebe Polyküle, liebe aromantische, asexuelle und inter Menschen, liebe solidarische Heteros, liebs Bärn! Es ist so schön, heute mit euch hier zu sein! Offen, stolz und divers.
Ganz speziell möchte ich die Queers unter uns begrüssen, die heute das erste Mal an einer Pride überhaupt sind, die das erste Mal diese wunderschöne Erfahrung machen dürfen! Schaut euch um, Baby Queers – das ist eure neue Familie. Sie ist vielfältig und farbig, sie ist biz verrückt und normal fassen wir eigentlich als Schimpfwort auf.
Hier findet ihr euer Zuhause, wenn ihr eins gesucht habt, eure Liebhaber*innen, eure Partner*innen, euer Freund*innen, die Menschen, die zum Glück euer Leben prägen werden. Und wenn euch das jetzt alles ein bisschen überfordert – dann ist das ok. Mich hat es anfangs auch überfordert.
Ich erinnere mich, als ich an meiner ersten queeren Party war. Ich tat nichts anderes als mich am Rand der Tanzfläche aufzuhalten und mit grossen Augen den eleganten Dragqueens zuzuschauen, wie sie durch die Menge flanierten, süsse Twinks beim Flirten beobachten und Butches anzuhimmeln.
Seither ist viel Wasser die Aare heruntergeflossen – und nun weiss ich auch, dass nicht alle Menschen, Frauen einfach schöner finden. Ich weiss heute, wer ich bin, ich weiss, wen und was ich will. Und ich stehe offen und stolz dazu. Dies vor allem dank euch, dank dieser wunderbaren Community, die wir gewählte Familie nennen, dank Vorbildern, dank Vorkämpfer*innen.
Doch die hetero und cis normative Gesellschaft, in der wir leben, hat es uns nicht einfach gemacht, diesen Weg zu gehen. Wenn ich gefragt werde, wie es war mich öffentlich zu outen – ich war damals JUSO Präsidentin – dann sage ich meist, dass ich mir überlegt habe, wie ich am besten allen klar mache, dass ich eine Lesbe bin. Und dass mir schien, eine Pushnachricht in allen Zeitungen dieses Landes sei die effizienteste Datingstrategie. So viel zum Thema: es interessiert doch niemanden, ob du queer bist oder nicht. Genau Roland.
Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Die andere Hälfte ist, dass ich Angst hatte. Ich hatte Angst mich zu outen. Ich hatte Angst vor der Stigmatisierung, ich hatte Angst vor Vorurteile à la: ah logisch, die kleine Feministin steht auf Frauen, erklärt viel. Als würde mich den Fakt, dass ich eine Frau liebe herabwerten. Ich hatte Angst an Glaubwürdigkeit zu verlieren. Ich hatte Angst von der Reaktion meiner süditalienischen Verwandten, genauso wie von denen aus dem Seeland. Ich hatte Angst, von der Gewalt und vor der Sexualisierung. Und wenn wir die Kommentare, die Angriffe der letzten Tagen auf einen Event wie die Eurogames beobachten, dann ist diese Angst leider nicht unberechtigt.
Doch Angst, bringt uns nicht weiter. Um es in den Worten von Audre Lorde zu sagen:
«We are powerful, because we have survived».
Wir lassen uns nicht einschüchtern, wir lassen uns nicht wegdiskutieren, wir lassen uns nicht unsichtbar machen.
Liebe Baby Queers, liebe Anwesende – die Pride ist nicht ein Werbeevent für Firmen und nicht nur eine grosse Party. Die Pride ist die Zeit, in der wir uns an die Kämpfe erinnern, die unsere Vorkämpfer*innen geführt haben. Wir erinnern uns daran, dass wir wegen unserer Liebe gestorben sind, in den Konzentrationslager der Nazis, dass wir verrottet sind in Gefängnisse in New York und Zürich, dass wir fichiert, gejagt, gedemütigt und ausgegrenzt wurden. Und wir erinnern uns daran, dass wir all dem zum Trotz nicht aufgegeben haben – und nie aufgeben werden.
Es ist der Tag, an dem wir uns erinnern, dass unsere Geschichte, die Geschichte eines Freiheitskampfes ist, die Geschichte von Mut und von Widerstand. Wir erinnern uns, dass wir auf den Schultern von trans women of color stehen, wir erinnern uns daran, dass wir ihnen all unsere Freiheit zu verdanken haben. Denn sie haben die erste Pride veranstaltet. Wir erinnern uns daran, wie viel es noch zu tun gibt – und dass kein Recht je sicher ist, dass Geschichte nicht einfach linear ist und alles einfach besser wird, dass wir verteidigen müssen, was wir haben.
Wenn ich lesen muss, dass gewisse Menschen sagen, man soll die Pride nicht für politische Anliegen «missbrauchen», dann frage ich mich schon, ob diese Leute sich erinnern, wofür wir eigentlich hier stehen. Wir müssen uns bewusst sein, dass unsere Freiheit, unsere Sicherheit und unsere Rechte gerade weltweit in Frage gestellt werden – und zwar von Republikaner, von rechten Autokraten und neofaschistischen Parteien. In Uganda reicht der Versuch einer sexuellen Handlung mit einer gleichgeschlechtlichen Person für eine 10-jährige Freiheitstrafe. In den USA hat sich die Hetze gegen trans Personen, LGBT-Kinder und Reproduktionsreche neue Dimensionen erreicht. Und die hiersiegen Medien nennen es «Woke Debatte» statt Verfolgung. In Italien verlieren lesbische Mütter gerade das Recht auf ihre Kinder. Sie dürfen nicht mehr mit den Kindern, die sie grossgezogen haben zum Arzt, oder sie von der Schule abholen.
Sie nehmen uns gerade unsere Kinder weg. Giorgia Meloni nimmt uns unsere Kinder weg.
E questo e per lei, signora Meloni:
Sono una donna, amo un’altra donna, ma non per questo sono meno donna!
E si, anche noi siamo Madri!
Sia cosciente del fatto, che attacando le nostre sorelle e I loro bambini in Italia, ha attaccato tutte noi. Solidarität mit unseren Schwestern in Italien! Die Pride ist politisch. Die offiziellen Schweiz, muss dies klar und deutlich verurteilen. Wir müssen Position beziehen für eine Welt ohne Gewalt und Diskriminierung, wir müssen diesen Familien, diesen Menschen Zuflucht garantieren.
Queerfeindlichkeit muss endlich ein Asylgrund werden. Denn niemand von uns ist frei, solange wir nicht alle frei sind.
Niemand von uns ist sicher, solange wir nicht alle sicher sind. Darum stehen wir heute hier. Nicht nur für uns – sondern für all die, die heute nicht hier stehen können. Die sich verstecken und verstellen müssen. Die Angst haben müssen.
Und gleichzeitig wissen wir, dass auch in der Schweiz vieles nicht gut ist. Trotz Regenbogenfahnen und Werbeplakate mit Lesben drauf. Denn unsere trans Geschwister verlieren nach wir vor ihren Job, wenn sie ihr coming out haben, die Selbstmordrate von LGBTQAI+ Jugendliche ist 7-mal höher ist als die von cis hetero Jugendliche, Lesben sind hetero Paaren punkto Schutzes ihrer Kinder nach wie vor nicht gleichgestellt, nach wie vor müssen wir unsere Kinder adoptieren. Schwule Männer werden angefeindet und angegriffen – aus dem einfachen Grund, dass sie nicht die Männlichkeitsvorstellung der Gesellschaft erfüllen. Und nach wie vor leben wir in einer Gesellschaft, die es nicht schafft, mehr als 2 Geschlechter anzuerkennen.
Es geht darum, dass es nicht reicht, paar Fahnen im Juni rauszuhängen – wenn man gleichzeitig im Verwaltungsrat Politiker hat, die bereit sind Hormontherapien für trans Jugendliche in Frage zu stellen. Es geht um Macht, es geht um Ressourcen und es geht um Unterdrückung. Es geht darum, dass ich immer noch die einzige geoutete Frau im Schweizer Parlament bin und erst die zweite in der Geschichte. Und dass Transpersonen noch nie vertreten waren.
Die Pride ist politisch. Unsere Liebe und unsere Beziehungsformen sind politisch, weil sie die herrschende Norm in Frage stellen durch ihre schiere Existenz. Unsere Körper und Genderexpressions sind politisch, weil wir nicht bereit sind, uns den gängigen Vorstellungen zu unterwerfen. Unsere Geschlechtsidentitäten sind politisch – weil die meisten Menschen in dieser Gesellschaft nicht mal wissen, was das eigentlich ist. Die Pride ist politisch – und wir sind nicht einfach ein dummes Werbepublikum für kapitalistische Interessen. Queere Unterdrückung geht Hand in Hand mit Sexismus, Rassismus, Klassismus. Unsere Befreiung geht dementsprechend Hand in Hand mit den feministischen und antirassistischen Befreiungsbewegungen.
Liebe Babyqueers, liebe Anwesende – wir sind heute hier, um uns zu feiern, um uns zu erinnern aber auch weil wir eine Aufgabe zu erfüllen haben. Wir haben die historische Aufgabe den Kampf weiterzuführen, den die Generationen vor uns begonnen haben, wir haben die Aufgabe Privilegien für alle zu erkämpfen, wir haben die Aufgabe die Welt zu einem sicheren Ort für alle zu machen. Wir müssen Vorbilder sein, für die, die kommen, sichere Hafen für die, die Schutz brauchen, und Vorreiter*innen einer besseren Zukunft. Hier, heute und jeden anderen Tag – lassen wir also die Angst hinter uns. Stolz hinzustehen, der Welt zu zeigen, wer wir sind, uns nicht zu verstecken, ist nicht nur die beste Entscheidung unseres Lebens – es ist eben auch eine Kampfansage an das System. We, we are the next Generation for queerfeminist Liberation. Wir werden stören, bis sie uns hören und uns die Freiheit und Sicherheit nehmen die uns, zusteht!
Venceremos. Dankeschön und Happy Pride!
1. Juli 2023
Queer joy für Basel
Demorede für Basel tickt Bunt von Alessandra Widmer (Co-Geschäftsleiterin der LOS)
Danke, dass ihr da seid. Meine Name ist Alessandra und ich bin Teil der Lesbenorganisation Schweiz und queere Baslerin. Es ist ein Teil meines Jobs, vor Leuten zu sprechen. Dazustehen, und zu sagen, was Sache ist. Mutig zu sein und meine Stimme zu erheben. Und das immer möglichst positiv und empowernd.
Beim Vorbereiten dieser Rede habe ich gemerkt, dass ich das gerade nicht kann.
Ich bin müde.
Ich bin wütend.
Und ich habe Angst.
Müde, wütend und ängstlich zu sein ist nicht mein Stellenprofil, aber meine Lebensrealität als Lesbe in Basel. Und es nicht nur meine Lebensrealität, sondern auch die von meinen queeren Freund*innen, Mitbewohner*innen, Beziehungsmenschen, meinen Bürogspändlis und vielleicht auch einigen von euch hier.
Wir durften in den letzten Jahren einige politische Erfolge feiern – vor allem Lesben, Bisexuelle und Schwule. Heute vor einem Jahr wurde die Ehe für alle eingeführt. Was jetzt auf uns wartet, sind aber keine Lorbeeren, auf denen wir uns ausruhen können.
Was jetzt auf uns wartet, ist die SVP, die mit transfeindlichen Schlagworten Wahlkampf betreibt.
Was jetzt auf uns wartet, sind neue anstrengende Diskussionen beim Familienznacht.
Was jetzt auf uns wartet, sind schaulustige Medien, die zeigen wollen, wie gespalten unsere Community ist.
Was jetzt auf uns wartet, sind Nazis, die Vorlesestunden und Pride-Demos stören.
So ganz neu ist das alles natürlich nicht. Aber die Lage hat sich zugespitzt. Der Backlash ist jetzt. Die queere Community ist heute so sichtbar und so einflussreich wie noch nie. Aber das macht uns auch angreifbar.
An etwas glaube ich: Früher oder später werden wir uns durchsetzen. Wir werden gewinnen. Wir werden die Rechte, die frühere Generationen für uns erstritten haben, verteidigen können. Und wir werden uns die Rechte erstreiten, die wir noch brauchen.
Das Verbot von geschlechtsverändernden Eingriffen an intergeschlechtlichen Kindern.
Den dritten Geschlechtseintrag.
Die Unterstrafestellung von Konversionsmassnahmen
Die volle Absicherung von unseren Beziehungen und Familien.
… und – nicht zuletzt: das erweiterte Basler Gleichstellungsgesetz.
Liebe Queers, liebe Lesben, Bisexuelle, Schwule, liebe trans Menschen, liebe nicht-binäre Menschen, liebe intergeschlechtliche Menschen, liebe asexuelle und aromantische Menschen: Das alles wird ein harter Kampf. Wir werden uns gegenseitig stützen müssen. Wir werden zusammen halten müssen, wie noch nie.
Und: Wir werden starke Allianzen brauchen – nicht nur innerhalb der Community.
Und darum Liebe Verbündete, die heute hier sind: danke, dass ihr es seid, denn wir brauchen euch jetzt dringend. Steht für uns ein. Und zwar für alle von uns: nicht nur für die, die eine Traumhochzeit veranstalten, sondern auch für die, deren Queerness ihr nicht auf Anhieb versteht.
Zäme hebe, einstehen füreinander, dass müssen wir jetzt alle:
Cis Personen für trans Personen.
Endogeschlechtliche für Intergeschlechtliche Menschen.
Heteros für Homos und Bis.
Die ohne Kinder für Regenbogenfamilien.
Nicht-Queers für Queers.
Und übrigens auch:
Die mit Schweizer Pass für die ohne.
Die, die keinen Rassismus erfahren für die, die das tagtäglich tun.
Die, die vom Patriarchat profitieren für die, die davon betroffen sind.
Die ohne Behinderungen und chronische Krankheiten für die mit.
Die mit den hohen Löhnen, für die mit den tiefen.
Wir werden zusammen müde, wütend und ängstlich sein, um zusammen glücklich und frei zu werden.
Unser aller Einsatz ist begleitet von all diesen Gefühlen. Und sie alle sind legitim und sie alle brauchen Platz. Gerade jetzt auch diese Angst, diese Enttäuschung, und diese Wut. Aber auch das Glück und die Hoffnung sollen Raum bekommen.
Denn: Die queere Community hat schon immer nicht nur das eigene Unglück und die Missstände zum Politikum gemacht. Sondern auch das eigene Glück.
Ich habe diese Rede mit meiner Angst und mit meiner Wut begonnen. Ich möchte sie mit euren Glücksgefühlen, mit eurer “queer joy” beenden. Denn unser Glück, für das wir kämpfen, ist Teil unseres Widerstands. Queer joy ist unser Motor, unsere Überlebensstrategie.
Darum habe ich viele queere Menschen in Basel gefragt, was queer joy, queeres Glück für sie bedeutet. Und ich möchte euch ihre Antworten vorlesen.
- Queer joy bedeutet für mich, mich für das erste Mal im Spiegel zu erkennen und zu wissen, dass andere Menschen mich endlich so sehen wie ich mich immer gesehen habe.
- Queer joy bedeutet für mich, Filme zu schauen, in denen queere Lebensrealitäten gezeigt und zelebriert werden.
- Queeres Glück ist für mich, wenn queere Menschen in safen Räumen aufblühen.
- Queer joy bedeutet für mich, Hand in Hand mit meinen Friends durch die Stadt zu laufen.
- Queer joy bedeutet für mich, sagen zu können, dass ich queer bin und mich dabei stolz zu fühlen.
- Queeres Glück ist für mich, gemeinsam an der Pride mit meinem Bruder im Arm zu einem Katy Perry Song zu weinen.
- Queer joy bedeuted für mich, ohne Dysphorie vor anderen Queers oben ohne zu chillen.
- Queeres Glück bedeutet für mich, zu sehen, dass ich nicht alleine bin und den Support einer wunderschönen Community habe.
- Queer joy bedeutet für mich, weinend in den Armen von anderen Queers zu liegen, wenn alles zu viel ist.
- Queer joy bedeutet für mich, am Dienstag in die Zischbar zu laufen und so viele Mensch lachen zu sehen.
Wenn wir heute alle zusammen zu dieser Demo aufbrechen, dann kämpfen wir nicht nur gegen den Backlash und die Welt und ihre Normen. Wir kämpfen auch für unser Glück.
Wir werden so lange weitermachen, bis alle Queers diese Glücksmomente fühlen dürfen.
Und wir werden so lange weitermachen, bis es nicht mehr nur Momente sind.
17. Juni 2023
Gemeinsam sind wir stark
Rede an der Zurich Pride von Salome Trafelet (Co-Geschäftsleiterin) und Anna-Béatrice Schmaltz (Vorstandsmitglied)
Schön seid ihr da! Wir freuen uns, hier zu sein! Wir, das sind Anna-Béatrice Schmaltz und Salome Trafelet von der Lesbenorganisation Schweiz. Bei der LOS kämpfen wir für die Rechte von Lesben, Bisexuellen und queeren Frauen in der Schweiz – und wir tun das stolz, sichtbar und feministisch!
Was für ein tolles Gefühl, mit mehreren 10’000 Queers durch Zürich zu ziehen, oder? Seid ihr auch berauscht von diesem Tag voller Glitzer und Gänsehaut?
Heute sind wir sichtbar, heute sind wir Viele, heute ist die ganze, vielfältige Community beisammen. Wir baden im Gefühl des Zusammenhalts und der Community. Was wir heute erleben und was mich heute auf der Demonstration durch Zürich so glücklich gemacht hat, sind Queere Freude und Solidarität.
Und genau darüber sprechen wir heute: Solidarität. Wieso? Warum ist Solidarität etwas Wichtiges? Solidarität bedeutet für mich, Seite an Seite mit anderen Menschen, mit anderen Gruppen zusammenzustehen und füreinander einzustehen.
Kennt ihr den Slogan: “A day without lesbians is like a day without sunshine?” Ein Tag ohne Lesben ist wie ein Tag ohne Sonnenschein. Ich finde ihn grossartig. Kennt ihr auch die Geschichte dahinter? In den 70er gab es in den USA eine berühmte Marketing-Kampagne: Breakfast without orange juice is like a day without sunshine. Das Problem: Das Aushängeschild der Kampagne, Anita Bryant – bekämpfte in Florida die LGBT-Bewegung, die für ihre Rechte einstand. Daraufhin hat sich die Community gewehrt und solidarisch gezeigt: Während Jahren wurden in gay bars in den USA keine Drinks mit Orangensaft mehr angeboten. Und mit viel Kreativität haben Queers den Marketing-Slogan einer homophoben Person in einen wundervollen Slogan zu Ehren von Lesben umgewandelt: A day without lesbians is like a day without sunshine.
Und genau solche Solidarität brauchen wir aktuell. Und genau das haben wir heute erlebt: Lesben, Bisexuelle, Pansexuelle, Schwule, Asexuelle, cis und trans Menschen, non-binäre Personen und intergeschlechtliche Menschen – Wir alle sind heute Seite an Seite durch Zürich gezogen und haben ein starkes Zeichen gesetzt: Wir sind Viele, wir sind vielfältig und wir fordern das Recht, so zu sein wie wir sind, ohne Diskriminierung, ohne Hürden, ohne Hass und Gewalt. Dieser Moment der Solidarität und der Queeren Freude ist eine wahnsinnig wichtige Erfahrung, eine willkommene Pause nach Monaten mit anstrengenden bis abwertenden Diskussionen in den Medien über gendergerechte Sprache, den dritten Geschlechtseintrag oder die Drag Story Time.
Ihr habt das sicher mitbekommen. Im Vorfeld der Drag Story Time in Zürich haben rechte und rechtsextreme Kreise gegen die Veranstaltung gehetzt und Hass verbreitet. Die Reaktion war grosse Solidarität und Unterstützung für die Veranstaltung. Über 450 Personen waren am Tag der Veranstaltung vor Ort und haben bunt und friedlich ihre Solidarität ausgedrückt. Dank dieser Unterstützung konnte die Drag Story Time stattfinden und 100 Kinder durften dem bunten und wichtigen Spiel mit Geschlechterrollen zusehen.
Wir wollen deshalb heute über Solidarität sprechen.
Solidarität in der Community bedeutet viele Dinge:
- Wir halten genauso zum 50-jährigen Schwulen, der an seinem Arbeitsplatz nicht geoutet ist, wie wir zur aktivistischen Person mit 100 bunten Pins am Rucksack halten
- Queers und Allies mit und ohne Kinder schützen die Drag Story Time
- Singles setzen sich für die Rechte von Regenbogenfamilien ein und gemeinsam kämpfen wir für die Anerkennung von vielfältigen Beziehungs- und Familienformen
- Mehrere tausend Menschen aus der Community haben sich mit der LOS solidarisch gezeigt, als wir letztes Jahr zuerst keinen Wagen an der Pride erhielten
- Es ist wichtig, dass wir cis Menschen auch Forderungen mittragen, wenn sie uns nicht direkt betreffen. Wie beispielsweise ein dritter Geschlechtseintrag oder die Erweiterung der Antidiskriminierungsstrafnorm um Geschlechtsidentität.
- Wir müssen zusammenstehen und Queerfeindlichkeit mit Gegenrede begegnen. Auch das ist Teil von Solidarität, dass wir Feindlichkeiten nicht einfach stehen lassen – sondern entgegen und dagegen halten.
- Solidarität bedeutet, dass wir uns auch für geflüchtete queere Menschen und armutsbetroffene queere Menschen einsetzen
- Solidarität heisst, zuzuhören und dazu zu lernen, wenn wir kritisiert werden
Als LOS sind wir überzeugt, dass wir nicht nur die Solidarität innerhalb der LGBTQIA-Community brauchen, sondern uns auch über Communities und über Bewegungen hinweg verbünden und solidarisch zeigen müssen. Es ist wichtig, dass wir verschiedene Kämpfe verbinden. Die Kraft von Gemeinschaft und Solidarität haben diese Woche auch die 300’000 FLINTAS – Frauen, Lesben, inter, non-binäre Personen und trans Menschen – gezeigt, die am Mittwoch in der ganzen Schweiz am feministischen Streik teilgenommen haben und gemeinsam für eine feministische und solidarische Zukunft auf die Strasse gingen. In der Streikbewegung haben diverse Forderungen für eine gleichgestellte und diskriminierungsfreie Gesellschaft Platz. Queer-feministische Solidarität macht uns stark:
- Lesben setzen sich für das Recht auf Abtreibung ein, auch wenn es viele nicht selbst betrifft
- Feministinnen setzen sich für das Recht von Queers auf Asyl ein
Um nur zwei Beispiele zu nennen.
Zum Schluss möchte ich noch etwas über mein T-shirt erzählen, denn es ist der Beweis von gelebter Solidarität. In den 80er Jahren haben in England die Kohlenmineure gestreikt. Da ein langer Streik irgendwann die Ersparnisse wegfrisst, hat sich in London eine Gruppe von Lesben und Schwulen zu LGSM zusammengeschlossen – Lesbians and Gays Support the Miners – Lesben und Schwule unterstützen die Mineure. Sie haben Geld gesammelt für die Mineure. Mein T-Shirt stammt übrigens von einem Benefiz ball, den LGSM in London veranstaltet hat. Während dieses Jaher – so lange hat der Streik gedauert – waren LGSM und die Mineursfamilien aus Wales, die sie unterstützt haben, immer wieder in Kontakt und haben sich gemeinsam besucht. Sie haben Freundschaften geknüpft und vieles über ihre Lebensrealitäten gelernt und dabei nicht nur die Unterschiede gesehen – hier die Kohlenmine in Wales, hier die Gaybars in London – sondern sie haben auch festgestellt, dass sie etwas sehr, sehr Wichtiges verbindet: Beide Gruppen kämpften dafür, ein würdevolles Leben zu führen und respektiert zu werden. Und obwohl Solidarität bedeutet, dass man eine Gruppe aus Überzeugung unterstützt und nicht eine direkte Gegenleistung erwartet: Die Kohlenmineure und ihre Familien haben die Solidarität zurückgegeben. Im Jahr darauf hat sich ihre Gewerkschaft dafür eingesetzt, dass sich die Linke Partei offiziell für die Rechte von LGBT-Personen einsetzt. Lesben und Schwule hatten schon lange daraufhin gearbeitet, aber die Solidarität der Mineure hat es möglich gemacht, einen wichtigen Schritt weiterzukommen. Und dies in einer Zeit, als Margaret Thatcher queer-feindliche Gesetze einführte und gegen Queers hetzte. Allen, die mehr über diese Geschichte erfahren möchten, empfehle ich den Film “Pride” von 2014.
Dieses Beispiel zeigt, wie wichtig Solidarität ist, gerade in schwierigen Zeiten. Solidarität kann die Dinge zum Besseren bewegen, auch wenn in den Medien und in den Kommentarspalten gehetzt wird, auch wenn Hass für Wahlkampf gezielt verbreitet wird. Solidarität gibt Hoffnung. Seien wir solidarisch innerhalb der Community.
Lasst uns solidarisch sein mit anderen Kämpfen: anti-rassistischen, für die Rechte und Mitsprache von Migrant*innen und geflüchteten Menschen, für die Teilhabe und Rechte von Menschen mit Behinderung.
Und an die Allys unter uns: Seid solidarisch mit uns LGBTIQ-Personen.
Gemeinsam sind wir stark.
14. Juni 2023
Nach den Sternen greifen!
Rede für den feministischen Streik 2023 in Aarau von Alessandra Widmer (Co-Geschäftsleiterin der LOS)
Mein Name ist Alessandra und ich bin Co-Geschäftsleiterin der Lesbenorganisation Schweiz, kurz LOS. Bei der LOS kämpfen wir für die Rechte von Lesben, Bisexuellen und queeren Frauen in der Schweiz – und wir tun das stolz, sichtbar und feministisch! Am 14. Juni, im Pride-Monat und an jeden anderen Tag im Jahr.
Kurze Content Note: Ich spreche in dieser Rede Gewalt und Queerfeindlichkeit an, weil ich es wichtig finde, diese Themen aktuell zu benennen, aber ich möchte uns alle zum Schluss dazu ermuntern, nach den Sternen zu greifen. Es hört also positiv auf.
Ich bin selber im Aargau aufgewachsen: Ich habe hier vieles gelernt: Zum Beispiel Rheinschwimmen und Rüeblitorte backen. Aber vieles habe ich auch nicht hier gelernt: Zum Beispiel, dass ich eigentlich gar nicht auf Männer stehe. Und wie Feminismus geht. Ihr zeigt mir aber heute, dass auch der Aargau feministisch und queer ist – und das gibt gerade mir so viel Mut und Zuversicht! Denn uns Feminist*innen gibt es schon lange und wir sind ÜBERALL laut und wir kämpfen ÜBERALL für unsere Anliegen.
Ich möchte uns alle hier einmal kurz feiern: können wir einmal Lärm machen * für alle Feminist*innen im Aargau von Aarau bis Zurzach!* Und für alle Menschen, die heute in der Schweiz streiken.
Zurück zu mir und dieser Rede: Als Lesbe erfahre ich nicht nur Sexismus, sondern auch Queerfeindlichkeit: Männer machen mich nicht nur dumm an, weil sie mit mir ins Bett wollen, sondern weil sie gerne auch noch mir und meiner Freundin gern dabei zuschauen würden, was wir im Bett machen. Wenn ich für die LOS in den Medien stehe, werde ich nicht nur als dicke Feministin beschimpft, sondern auch als hässliche Kampflesbe, die halt einfach keinen Mann abkriegt.
Feminismus und LGBT-Anliegen, queere Anliegen, sind für mich nicht trennbar: in meiner Existenz, aber auch in unserem Aktivismus. Und darum bin ich Queerfeministin. Denn das Patriarchat unterdrückt nicht mich als cis Frau systematisch, sondern auch viele andere Menschen: zum Beispiel nicht-binäre Menschen, ganz besonders trans Frauen, aber auch alle die lesbisch, bisexuell, pan, queer oder schwul sind. Denn wir alle kratzen in irgendeiner Form an den Geschlechternormen. Wir lieben frei, leben unser Geschlecht so wie wir wollen, unsere Freund*innen sind unsere Familien, und eigene Kinder haben wir auch noch. Wir kämpfen gegen diese patriarchale Welt mit ihren unterdrückerischen Normen an. Denn es sind auch genau diese Normen, die dafür sorgen, dass alle Frauen – auch heute noch – weniger verdienen, nicht gehört werden, Gewalt erfahren und klein gehalten werden.
Genau darum haben die queere und die feministische Bewegung haben schon immer zusammen gehört und zusammen gehalten. Und gerade jetzt, müssen wir das unbedingt weiterhin tun.
Denn ich muss euch ganz ehrlich sagen, die Welt, in der wir heute leben, macht mir Angst:
- Es ist Pride-Monat, unser Sicherheitskonzept für die Demos ist mittlerweile seitenlang.
- In Zürich müssen wir Nazis davon abhalten, Lesungen für Kinder zu stören.
- Im letzten Jahr wurden der LGBTIQ-Helpline fast dreimal pro Woche queerfeindliche Angriffe gemeldet. Ein Drittel davon an trans Personen. Und seit der Juni begonnen hat, bekommen wir fast täglich eine Meldung rein.
Und gleichzeitig hat eine der grössten Schweizer Parteien, die SVP, angekündigt, dem vermeintlichen “Gender-Terror” und “Woke-Wahnsinn” den Kampf anzusagen. Anscheinend können Konversative in diesem Land nicht mehr frei sprechen und das stört sie. Währenddessen kämpfen wir in diesem Land noch dafür, dass wir frei abtreiben dürfen, dass nicht-binäre Menschen existieren und dass wir alle frei von Gewalt leben können
Die Rechte sucht sich in ihrem Kampf ein absurdes Ziel nach dem anderen aus – und über eins möchte ich hier noch kurz sprechen: Das Gender-Sternchen! Denn davon habt ihr ja im Aargau letztes Jahr mehr als genug mitbekommen: der Kanton hat nach ewigem Gemecker von rechts die Verwendung des Gendersterns an den Schulen verboten. Und die Junge SVP sammelt auf einer Website Gendersterne, um dann dagegen vorzugehen.
In dieser Diskussion geht es nicht um Sprache und wie wir sie inklusiver machen können. Diese Diskussion um ein Zeichen, ist ein Angriff auf Menschen und gesellschaftlichen Fortschritt. Und dieser Backlash, diese Angst und dieser Hass, die hier geschürt werden, gehen uns alle etwas an: als Frauen, als Queers, als Gesellschaft. Denn wenn die Rechte dem Gender-Terror den Kampf ansagt, dann meint sie nicht nur den Kampf um Anerkennung und Rechte der LGBT-Community, sie meint auch die Gleichstellungspolitik für Frauen. Gemäss der SVP stehen “Mädchen und Frauen stehen heute alle Möglichkeiten offen. Von einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts kann keine Rede mehr sein.” Müssten wir hier heute alle stehen, wenn das so wäre? Ich denke nicht.
Aber wir sind hier, und wir streiken. Weil das noch immer nötig ist. Wir brauchen eine starke, laute, fordernde feministische Bewegung. Wo wir zusammenarbeiten, egal ob queer oder nicht. Wo wir zusammenhalten, egal wie sehr versucht wird uns zu spalten mit solchen Aktionen.
Wir brauchen einen Feminismus der nach den Sternen greift: nach den Gendersternen, aber auch nach vielen anderen:
Greifen wir zusammen nach den Vereinbarkeitssternen, nach den Antirassismus-Sternen, nach den Altervorsorge-Sternen, nach den Barrierefreiheits-Sternen, nach den Stimmrecht-für-alle-Sternen, nach den 34-Stundenwoche-Sternen, nach den Rechte-für-Sexarbeiter*innen-Sternen, nach den Gratis-Kinderbetreuung-Sternen, nach den Nulltoleranz-für-sexualisierte Gewalt-Sternen. Und nach vielen weiteren!
Das sind ganz schön viele Sterne in verschiedenen Universen, aber wir, wir sind auch viele. Unser Feminismus, der nach den Sternen greift, anerkennt, dass wir nicht alle gleich sind, dass wir unterschiedliche, spezifische Diskriminierungen erfahren. Und dass wir nebeneinander und miteinander und füreinander kämpfen können, Für ein besseres Leben für uns alle: Dass wir alle gleichgestellt, gesund, abgesichert, stark, glücklich und frei sein dürfen.