Die alltäglichen Herausforderungen für queere Menschenkennen wir bestens. Doch was bedeutet es, gleichzeitig im Rollstuhl zu sein?
von Anita Steiner – Gästin | 04.11.2025
Gemäss der Schweizer Fachstelle für behindertengerechtes Bauen sind in der Schweiz rund 40’000 Personen auf einen Rollstuhl angewiesen. Eine Studie in 30 Ländern zeigt: Bei uns identifizieren sich insgesamt 13 Prozent als LGBT+ (dritthöchster Anteil). Darunter sind 6 Prozent, die sich als transgender, non-binär, genderfluid oder anders als männlich und weiblich bezeichnen (hier liegt die Schweiz sogar auf dem ersten Rang). Ausgehend davon sind über 5’000 Menschen im Rollstuhl und queer.
Vorbilder – que(e)r durch die Schweiz
Ursula Eggli (rechts) gilt in der Schweiz als Wegbereiterin für nicht heterosexuelle Menschen im Rollstuhl. Foto: Helga Leibundgut / Anlass: Behinderten Demonstration Bern, 20. Juni 1981 / Quelle: Schweizerisches Sozialarchiv
Eine Pionierin der Behinderten- sowie Lesben- und Schwulenbewegung war Ursula Eggli (1944-2008). Die Schweizer Schriftstellerin – lesbisch und aufgrund von Muskelschwund seit ihrer Kindheit auf den Rollstuhl angewiesen – publizierte 1977 ihr erstes Buch mit dem Titel «Herz im Korsett». Zudem wirkte sie im mehrfach preisgekrönten Dokumentarfilm «Behinderte Liebe» mit; der erste Schweizer Film, der sich 1979 mit der Sexualität von Menschen mit Behinderung befasste.
Schweizer Vorbilder der heutigen Zeit gibt es viele. Stellvertretend stellen wir euch einige Gesichter kurz vor:
Taz Keller (27-jährig, aus dem Kanton Aargau, wohnhaft St. Gallen) bezeichnet sich selbst als «Gesamtpaket», das keiner Norm entspricht. Foto: Patrick Frauchiger
Taz Keller ist trans-nonbinär, polyamor und pansexuell. Aufgrund des hypermobile Ehlers-Danlos-Syndroms kann they nur mit dem Rollstuhl am sozialen Leben teilnehmen. Taz studiert Psychologie und Soziologie, ist Teil des queer-feministischen Kunstkollektivs «Vulvadrachen Kollektiv» und tritt mit UNAPOLOGETIC, einem Tanzstück über Schönheitsnormen und queeres Selbstempowerment, unter anderem am lila-queer-Festival auf. Taz engagiert sich «ADHS sei Dank» vielseitig und auch ausserhalb der queeren Community, zum Beispiel bei Sea Sheperd.
«Was meine queeren Identitäten und meine Erkrankung gemeinsam haben ist, dass ich beides früher normalisiert habe. Ich schloss von mir auf die Gesamtheit. So dachte ich zum Beispiel, jeder Mensch hätte immer Rückenschmerzen und alle wüssten mit den Begriffen Mann und Frau wenig anzufangen. Erst durch Gespräche entdeckte ich, dass es nicht so ist. Mit meiner Diagnose und meinen Labels fand ich dafür einen Namen – und zu mir selbst.» Taz Keller
Erst bei seiner Kandidatur als Politiker für die SP Luzern outete sich Roger Seger als homosexuell – rückblickend seine beste Entscheidung.
Aufgrund einer Nervenerkrankung ist Roger Seger mehrheitlich auf den Rollstuhl angewiesen. Seit 33 Jahren lebt der gebürtige Luzerner und in Würenlos/AG wohnhafte mit seinem Lebensgefährten zusammen. Nach seinem politischen Engagement für die Inklusionsinitiative setzt sich Roger Seger leidenschaftlich in der queeren Community ein, unter anderem für Pink Cross. Zudem engagiert er sich ehrenamtlich als Sterbebegleiter.
«Als schwuler Rollstuhlfahrer mit Colitis ulcerosa und einem Dünndarmstoma vertrete ich gleich vier Minderheiten – die sich meiner Ansicht nach gar nicht so sehr von der Mehrheit unterscheiden. Wir alle wollen integriert sein und uns aktiv am gesellschaftlichen Leben beteiligen.» Roger Seger
Selma Mosimann beweist: Wer seine Bedürfnisse ernst nimmt und offen ist, kommt bei sich selbst an – auch auf Umwegen.
Selma Mosimann ist mit Cerebralparese geboren. Die 36-jährige St. Gallerin teilt ihre Erfahrungen als lesbische Rollstuhlfahrerin in zahlreichen Organisationen: seit 2022 im Vorstand von Netzwerk Avanti, als Mitglied bei LOS und in der Vereinigung Celebral Schweiz (insbesondere im Netzwerk CerAgility und in Weiterbildungen von CerAdult). Für die St. Gallen Pride berät sie das OK-Team zum Thema Barrierefreiheit und initiierte das Übersetzen der Reden in Gebärdensprache.
«Als lesbische Frau im Rollstuhl möchte ich die queere Community und die Behindertencommunity sichtbar machen und gegenseitig verbinden. Denn ich finde, beide Welten dürfen und müssen zusammen funktionieren.» Selma Mosimann
Iwan (links) als wichtigste Bezugsperson und der quirlige Hund Sämi schenken Franz Rullo Lebensfreude und -energie.
Die Lebensgeschichte von Franz Rullo ist unglaublich: Verkehrstod der Mutter, Kindheit bei der Homosexualität verabscheuenden Tante, Hirnblutung, Teillähmung nach Hirntumor-OP, Barrett-Ösophagus, komplette Querschnittlähmung aufgrund seiner Hirnläsion, dazu Schwindelanfälle, Sehstörungen, beeinträchtigte Schluck- und Blasenfunktion etc. Doch aufgeben ist keine Option. Als aktives Mitglied dieser Community teilt er seine Erfahrungen und motiviert dadurch andere.
«Wir existieren zwischen Welten – queer, gelähmt, aber nicht gebrochen. Unsere Körper tragen Geschichten, unsere Liebe sprengt Normen. Eine Gesellschaft, die uns übersieht, verpasst ihre eigene Menschlichkeit.» Franz Rullo
Vorurteilen gegenüber «nicht der Norm entsprechenden» Menschen begegnet Edwin Ramirez mit tiefgründigem Humor, öffentlichkeitswirksamen Auftritten und starkem Engagement in der Szene.
Edwin Ramirez ist nonbinär, neurodivergent, aufgrund von Zerebralparese im Rollstuhl und hat afro-dominikanische Wurzeln. Bekannt wurde Edwin als Stand-Up-Comedian, 2020 gründete they als Performance Artist mit Nina Mühlemann das queer-crippe Theaterkollektiv Criptonite. Als Aktivist*in und Co-Leitung des Vereins Netzwerk Avanti verbindet Edwin anti-rassistische, anti-ableistische und queere Kämpfe und spricht auch regelmässig in Interviews und Podcasts darüber.
«Es stört mich unheimlich, dass immer so getan wird, als sei Queersein etwas ganz Neues. Dabei gibt es Queers schon so lange, wie es die Menschheit gibt.» Edwin Ramirez
Was bedeutet «crip»?
Früher war «crip» ein abwertender Begriff oder sogar ein Schimpfwort, abgeleitet vom englischen Wort «cripple» (Krüppel). In den letzten Jahrzehnten haben sich Menschen mit Behinderung das Wort zurückerobert. Sie wollen sich damit von der traditionellen und oft diskriminierenden Sichtweise abgrenzen. Aber Vorsicht: Obwohl die selbstgewählte Bezeichnung von vielen als positiv und befreiend empfunden wird, ist «crip» für manche noch immer negativ assoziiert.
Queere Role-models auf der ganzen Welt
Marissa Bode ist eine queere US-amerikanische Schauspielerin. Als erste querschnittgelähmte Schauspielerin verkörperte sie Nessarose Thropp in den Musicalfilmen «Wicked» (2024) und «Wicked: For Good» (2025) – eine Rolle, die auch in Realität für Veränderung sorgte: barrierefreies Filmset und Spielfigur von Mattel in Kinderzimmern.https://www.youtube.com/watch?v=bxLkg6r5Lqg
Die US-amerikanische Schauspielerin Jillian Mercado ist aufgrund einer Muskeldystrophie im Rollstuhl. Das Model mit dominikanischen Wurzeln stellt die Schönheitsideale in Frage und kämpft gegen die mangelnde Repräsentation von Menschen mit Behinderungen in der Modebranche und deren anhaltende Stigmatisierung. Ihr Coming-Out als queere Person publizierte sie auf Instagram.
Die amerikanische YouTuberin, Künstlerin und Aktivistin Annie Segarra, auch bekannt als Annie Elainey setzt sich für Barrierefreiheit, Körperpositivität und die mediale Darstellung marginalisierter Gemeinschaften. Sie ist queer, lateinamerikanisch und im Rollstuhl.
Die pansexuelle Melody Powell teilt ihre Erfahrungen als queere Person mit Behinderung und kämpft für die Rechte von Menschen mit Behinderung und für LGBTIQ+-Rechte. Sie arbeitet mit ALLFIE zusammen, um die allgemeine Bildung für junge Menschen mit Behinderung zu verbessern.https://www.youtube.com/watch?v=pJK3QioxANY
Die niederländische Para-Rollstuhlbasketballspielerin Bo Kramer lebt offen mit ihrer Homosexualität. Sie gewann Bronze bei den Paralympischen Sommerspielen 2016 und Gold bei den Paralympischen Sommerspielen 2020 und 2024.
Die queere US-amerikanische Psychologin und Aktivistin Danielle Ann Sheypuk ist bekannt als Ms. Wheelchair NY 2012 und als erste Rollstuhlfahrerin auf der New York Fashion Week. Sie bezeichnet sich selbst als «Sexpertin» rund um Themen wie Dating, Beziehungen und Sexualität von Menschen mit Behinderungen.
Sandy Ho ist eine queere asiatisch-amerikanische Rollstuhlfahrerin und schwerhörig. Sie ist Gründerin des Disability and Intersectionality Summit und Co-Partnerin der Kampagne «Access Is Love». 2015 wurde sie vom Weissen Haus als «Champion of Change» ausgezeichnet. Derzeit leitet sie den Disability Inclusion Fund bei Borealis Philanthropy.
Andrea Lausell ist eine queere Latina mit Spina bifida. In ihrem Artikel erzählt sie, wie sich ihre Freundschaften und ihr Selbstwertgefühl durch den Rollstuhl veränderten.
… viele weitere Persönlichkeiten ergänzen die Liste.
ParaPride ist eine englische Empowerment-Organisation, die sich für die Sichtbarkeit, Aufklärung und das Bewusstsein von LGBTQ+-Menschen mit Behinderung einsetzt. Ihre Mission ist es, die mangelnde Inklusion von Menschen mit Behinderungen innerhalb der LGBTQ+-Community zu bekämpfen, barrierefreiere queere Räume zu schaffen und die Wertschätzung von unterschiedlichen Körpern zu fördern.
Que(e)rschnittgelähmt: mehrfaches Coming-out
Das Öffentlichmachen der sexuellen Orientierung und/oder Geschlechtsidentität ist herausfordernd. Aus Angst vor (noch stärkerer) Ausgrenzung erleben nicht heterosexuelle Menschen mit Beeinträchtigung ihr Coming-Out wesentlich später als Menschen ohne Behinderung.
Dies bestätigt auch Thomas Rattay des deutschen Jugendnetzwerks LAMBDA: «In der Regel findet bei Jugendlichen ohne Behinderung das äussere Coming-out zwischen 15 und 17 Jahren statt. Heranwachsende mit Behinderung outen sich meist erst mit Anfang/Mitte 20.»
«Ich war acht Jahre mit einem Mann zusammen – bis zu meiner “zweiten Pubertät“: Nach einer langen Findungszeit habe ich mich 2016 als lesbisch geoutet. Der Austausch in Frauengruppen und Organisationen hat mir dabei sehr geholfen und gezeigt: Ich bin nicht allein.»
Selma Mosimann
Roger Seger offenbarte seine Homosexualität mit 18 Jahren lediglich seiner Familie und im engsten Freundeskreis. Erst 2018 im Zusammenhang mit seiner Kandidatur für den Gemeinderat Schlieren outete er sich öffentlich; Die Wählerinnen und Wähler sollten wissen, mit wem sie es zu tun haben und für welche Themen er sich engagiere. Dass sich sein langjähriger Partner aufgrund seiner persönlichen Situation und Stellung nicht outen will, ist für Roger absolut in Ordnung.
«Rückblickend war das Coming-Out meine beste Entscheidung. Früher hat mich das Erfinden von Geschichten viel Energie gekostet – heute bin ich völlig befreit. Ich finde, Menschen sollten mutiger werden und offen zu dem stehen, was zu ihnen gehört.»
Roger Seger
Änderung im Personenstandsregister
Seit dem 1. Januar 2022 ist die Änderung des Geschlechtseintrags in der Schweiz durch eine einfache Erklärung beim Zivilstandsamt möglich. Hierzu sind weder medizinische Nachweise noch ein gerichtliches Verfahren erforderlich. Die Erklärung kann mit oder ohne Namensänderung erfolgen und kostet 75 Franken.
Ehe für alle
Seit dem 1. Juli 2022 können in der Schweiz zwei Personen gleichen Geschlechts heiraten. Bereits eingetragene Partnerschaften können weiterbestehen oder in eine Ehe umgewandelt werden.
Auch Taz Keller outete sich erst mit 20 Jahren. Damals arbeitete they in der Milchbar und bezeichnete sich selbst als «der coole cis-iater». Bis Taz das erste Mal mit der besten Freundin schlief. Ein Schlüsselereignis, das they zum wahren Ich führte. «Ich verliebe mich aufgrund des Charakters in einen Menschen oder fühle mich sexuell von ihm angezogen, unabhängig von Geschlecht oder Genderidentität.»
«Ich wurde davon beeinflusst, dass viele meinen, man wolle nur Aufmerksamkeit. Dabei sind die Reaktionen nach einem Outing meist wenig positiv. Zu sich selbst zu finden und sich einzugestehen, dass man anders ist, ist zwar anstrengend, aber megaschön. Wenn nötig muss man sich von Menschen distanzieren, die dies nicht akzeptieren. Dafür ist man in der “chosen family” willkommen.»
Taz Keller
Tipp: Die SRF-Sendung KREUZ UND QUEER hilft der Schweiz beim grossen Coming-Out.
Zwischen Ableismus und Queerfeindlichkeit
Eine Behinderung und Sexualität schliessen sich nicht aus. So weit, so gut. Doch wenn ein Grossteil der Gesellschaft noch immer davon ausgeht, dass Menschen im Rollstuhl asexuell, infantil oder «bedürftig» seien, dann ist es kein Wunder, dass queere Menschen im Rollstuhl oft ignoriert oder fetischisiert werden.
«Meistens werde ich von fremden Leuten ausserhalb der Community auf den Rollstuhl, oft auch auf mein Lesbisch-sein reduziert – dabei möchte ich einfach nur Selma sein. Wenn andere in der Badi meine behaarten Beine sehen, kann ich ihre Gedanken erahnen: Sie meinen, ich sei nicht fähig, mich zu rasieren. Sorry Leute, das ist eine bewusste Entscheidung!»
Selma Mosimann
- Unsichtbarkeit oder Ignoranz: Nichtbeachtung, absprechen von Sexualität, Ausgrenzung durch fehlende Barrierefreiheit, Abbruch von Dates nach dem Outing
- Neugier oder Fetischisierung: übergriffige oder sexualisierte Fragen, Voyeurismus, Symbol für «exotische Tabu-Fantasie» oder Schubladisierung als «asexuell oder zu sexuell»
- Mitleid und Bevormundung: Deutung der Behinderung als «tragisches Schicksal» und Queerness als doppelte Belastung, Entmündigung (= Gefühl von Minderwertigkeit)
- Diskriminierung durch mehrfache Marginalisierung: Ableismus und Queerfeindlichkeit sowie offener Hass, oft aufgrund von Unwissen über queere und körperlich diverse Lebensrealitäten.
Queere Rollstuhlnutzerinnen und -nutzer berichten oft von einer Mehrfachdiskriminierung. So haben sie das Gefühl, sich in jeder neuen Situation doppelt erklären zu müssen: Weshalb sie im Rollstuhl sind und warum ihre sexuelle Identität nicht der Norm entspricht. Video «Queer and Disabled Pt. 1: https://www.youtube.com/watch?v=wC8D6gXQLlo
Sogar innerhalb der queeren Szene erleben Betroffene teilweise Ableismus: Clubs sind nicht rollstuhlgängig, Dating-Apps filtern Behinderungen automatisch aus und Pride-Veranstaltungen sind nicht immer inklusiv gestaltet. Die Rede von Nina Mühlemann und Suna Kircali am CSD Zurich verdeutlicht dies eindrucksvoll. Video «Queer und Behinderung – doppelt ausgeschlossen? https://www.youtube.com/watch?v=nz61_GTRkHQ
«Was wir nicht kennen, das verstehen wir nicht. Die Unsicherheit und somit auch der Widerstand hängen stark damit zusammen, dass die entsprechende Schulung respektive die Aufklärung fehlen.»
Taz Keller
Das «Bauchgefühl», dass queere Menschen mit Behinderung doppelt stigmatisiert werden, bestätigt die Forschungsarbeit «Queer and Disabled: Exploring the Experiences of People Who Identify as LGBT and Live with Disabilities». Betroffene werden häufiger diskriminiert, unter anderem in den Bereichen Bildung, Arbeit, Finanzen, Gesundheit und intime Beziehungen.
Was ist das Schweizer LGBTIQ+ Panel?
Die Längsschnittstudie von Dr. Tabea Hässler (Universität Zürich) und Dr. Léïla Eisner (Universität Zürich) untersucht seit 2019 jährlich die Situation von LGBTIQ+ (lesbischen, schwulen, bisexuellen, trans, intergeschlechtlichen und queeren) Personen in der Schweiz. Damit setzen sich die Sozialpsychologinnen wissenschaftlich und gesellschaftlich für mehr Sichtbarkeit und Gleichstellung ein.
Glücklicherweise kommt Bewegung in die Thematik. Projekte wie «Queer & Behinderung – Ja, uns gibt es!» der Initiative Zukunft Inklusion fördern die Sichtbarkeit betroffener Menschen. Auch das Zürcher HAZ-Magazin rückte in der Ausgabe «Perspektiven Pride» queere Menschen mit Behinderung in den Mittelpunkt. Auch auf politischer Ebene werden queere Menschen lauter, unter anderem dank der Autorin und Nationalrätin Anna Rosenwasser.
«Ich bin positiv überrascht vom schönen Umgang im queeren Umfeld. Es wird mir Hilfe angeboten, aber niemals aufdringlich. Und ich bin erstaunt, wie direkt die Fragen an mich sind – das finde ich grossartig!»
Roger Seger
Werden queere Menschen in der Schweiz diskriminiert?
Bereits die Studie aus dem Jahr 2024 zeigt, dass die Bevölkerung gegenüber der LGBTIQ+ Gemeinschaft grundsätzlich offen und wohlgesinnt ist. Gemäss der repräsentativen Bevölkerungsbefragung vom April 2025 stehen 83 Prozent der Schweizer Bevölkerung hinter der LGBTQ-Community. Diese klare Mehrheit will Gleichstellung, Schutz vor Diskriminierung und ein Ende queerfeindlicher Angriffe.
Trotzdem beobachten LGBTIQ+ Personen eine Zunahme von Vorurteilen, Intoleranz und Gewalt aufgrund politischer Stimmungsmache, die sich insbesondere gegen trans und intergeschlechtliche Menschen richtet. Hinter den verbalen oder physischen Übergriffen stecken Vorurteile, Intoleranz oder falsche Vorstellungen.
Laut Hate Crime Bericht der Lesbenorganisation Schweiz, Transgender Network Switzerland, Pink Cross und die LGBTIQ Helpline sind Betroffene beinahe täglich Gewalt und Diskriminierung ausgesetzt. Mehrfach marginalisierte Menschen (zum Beispiel queer und behindert), sind hiervon besonders betroffen.
«Als 19-Jähriger wurden ich und meine Freunde vor dem Regenbogenhaus Luzern angegriffen. Über zehn Leute schlugen auf uns ein und traten uns, wir waren völlig wehrlos. Zum Glück kam uns ein kräftiger Mann zu Hilfe.»
Roger Seger
Was tun bei einem Übergriff?
- Verlasse den Gefahrenbereich, sobald es die Situation zulässt.
- Hole Hilfe und organisiere falls nötig medizinische Versorgung.
- Verständige die Polizei unter der Notrufnummer 117.
- Bitte Zeugen, vor Ort zu bleiben und sammle Beweise.
- Merke dir den/die Täter*in und die Fluchtrichtung.
- Melde den Vorfall mittels Meldeformular an die LGBTIQ Helpline.
Seit 2020 haben sich die Meldungen verfünffacht. Im Jahr 2024 wurden 309 «hate crimes» gegenüber LGBTIQ+ Menschen gemeldet – fast sechs pro Woche. Die Vorfälle umfassen körperliche Übergriffe, verbale Gewalt (u.a. Mobbing und Cybermobbing), sexuelle Belästigungen sowie Ignoranz und Diskriminierung im Arbeitsumfeld, im Kontakt mit öffentlichen Institutionen und im Gesundheitswesen. Video «Hass gegen LGBTQ+ – Von Diskriminierung und Widerstand» :https://www.youtube.com/watch?v=R2eiVIsjTzU
Die LGBTIQ Helpline hilft
Die queeren Berater*innen der LGBTIQ Helpline unterstützen dich kostenlos und vertraulich bei Fragen zu deiner sexuellen Orientierung, Geschlechtsidentität oder Intergeschlechtlichkeit: von Montag bis Freitag, 19 bis 21 Uhr per Chat und telefonisch unter 0800 133 133 sowie jederzeit per E-Mail. Hate Crimes können via Meldeformular gemeldet werden.
Die mediale (Un-)Sichtbarkeit
Menschen im Rollstuhl sind in den Medien stark unterrepräsentiert – queere Menschen im Rollstuhl erst recht. Andere, besonders Jugendliche, benötigen Identifikationsmöglichkeiten, um mit ihrer eigenen Situation umgehen zu können. https://www.youtube.com/watch?v=re5-d3xb750
Die gute Nachricht: Die Medien werden «farbenfroher». Die ZDF-Doku «einfach Mensch» über die nichtbinäre Dragqueen im Rollstuhl Mieze McCripple beleuchtet die doppelten Barrieren für queere Menschen mit Behinderung. https://www.youtube.com/watch?v=VWHaIOvsJgs&rco=1
Spaniens mehrfach ausgezeichnete Doku «Yes, we Fuck!» dokumentiert sechs Menschen mit «funktionaler Diversität» und erklärt offen und explizit, dass auch Menschen mit Behinderung sexuelle Lust empfinden können und aktiv leben.
Die Dokumentation Picture This von Jari Osborne porträtiert Andrew Gurza, der sich als «queer cripple» bezeichnet. Andrew erzählt von seinem Coming‑out, Selbstwahrnehmung und Aktivismus. https://www.youtube.com/watch?v=3fMCsyhvnEc
«Mich stört nicht, dass ich weiblich aussehe, sondern wie mein Körper von anderen gesehen und “schubladisiert” wird. Wenn das Transsein akzeptiert wird, werden mehr zu ihrem Anderssein stehen können – ähnlich wie damals bei den Linkshändern. Ich finde, man muss nicht erklären können, wie Lichtgeschwindigkeit funktioniert, aber man kann es trotzdem akzeptieren.»
Taz Keller
Fazit: Die Regenbogenbewegung kommt ins Rollen
Auch wenn sich immer mehr queere Menschen im Rollstuhl outen oder an Prides etc. teilnehmen: Sie sind in der Schweiz von vielfacher und oft übersehener Diskriminierung betroffen, sowohl bezüglich Queerness als auch Behinderung. Betroffene kämpfen aktiv für mehr Sichtbarkeit, sexuelle Selbstbestimmung und barrierefreie Zugänge. Konkrete Zahlen fehlen, doch die Community wird sichtbarer und lauter, fordert politische und gesellschaftliche Veränderungen und setzt sich weiterhin für Gleichstellung und Inklusion ein.
Veranstaltungen für queere Menschen in der Schweiz
- Der Pride- und Event-Kalender von gay bietet eine laufend aktualisierte Übersicht über alle grösseren queeren Events und Prides in der Schweiz, inklusive Daten, Städten und Formaten für das laufende Jahr.
- Pinkcross als grösste LGBTIQ+ Dachorganisation hat eine Agenda mit Queer-Veranstaltungen, Konferenzen, Stammtischen und Partys.
- Die Milchjugend führt einen Kalender mit vielen jugend- und community-orientierten Treffpunkten und Events in verschiedenen Schweizer Städten.
- Queer Altern Bern, du bist du, Queer Lozärn und Eventfrog führen ebenfalls umfangreiche Übersichten zu lokalen Events, Treffs, Prides und queeren Partys.